2020-10-01 bis 04 Transit durchs Zombieland – Alpenabschluss Engadin und Loisach

Der Alpenabschluss, traditionell von einer Basis in Tirol ausgehend, war kurzfristig durch die Ausweisung von Tirol als Corona-Risikogebiet bedroht. Auch wenn wir unsere eigene Hütte im Pitztal gehabt hätten und auf den abgelegenen Bächen nicht vielen Leuten begegnet wären, wollte die Gruppe nichts riskieren und sich nach der Rückkehr schon überhaupt nicht in Quarantäne begeben. Hoffnung kam auf, als klar wurde, dass ein Transit durch Tirol keine Quarantäne zur Folge hat.

Kurzfristig wurde deshalb das Basecamp in einen „Wohncontainer“ verlegt, den Dominik uns auf dem Campingplatz Sur En wenige Kilometer hinter der Schweizer Grenze reserviert hatte. Rob scherzte auf der Anfahrt noch, Container klinge als würden wir in einem Frachtcontainer hausen… doch genau das war der Fall. Allerdings beheizbar, mit Strom, Fenstern, einem Tisch und einer Tür, sodass wir uns schnell wie zu Hause fühlten und uns freuten, als der Regen begann, auf die Containerdecke und die drangeklebte Zeltplane zu prasseln.Unser Wohncontainer

Unser Wohncontainer: Vom Laster gefallen?

Fr, 02.10.2020 – Scuoler Schlucht und Giarsun-Schlucht

Nach der späten Anreise kamen wir morgens nicht so recht aus den Federn und die vereinbarte Frühstückszeit verschob sich um eine halbe Stunde. Sogar Markus lag zur vereinbarten Zeit noch im Bett. Erst als Ute und Ronja den Kaffee lieferten, erwachten die Lebensgeister und das Frühstück wurde einigermaßen zügig eingenommen. Um ca. 10 Uhr wäre eigentlich der Moment gekommen, sich umzuziehen und zum Fluss aufzubrechen, doch die folgenden zwei Stunden verflogen, ohne dass sich irgendwer erinnern könnte, was genau passiert ist, bis wir endlich um 12:30 Uhr in den Autos saßen und Flussaufwärts fuhren. Erstmals erlebten wir Julia hangry, bevor wir überhaupt auf dem Wasser waren. Zu allem Übel hatten wir nicht nur die Zeit vergessen, sondern auch unsere riesige Dose voller geschmierter Brote lässig im Container liegen lassen.

  • Abschnitt
    • Scuoler Schlucht (Einstieg Hauptstraße bis Ausstieg 2. Brücke Scuol)
  • Pegel
    • Station Tarasp 13:00 Uhr, 13 m³/s (unter Niedrigwasser lt. Riverapp aber alles gut fahrbar)
  • Distanz:  7 km
  • Teilnehmerzahl: 8
  • Vereinskilometer: 56 km

Die Scuoler Schlucht bietet bei dem Wasserstand einfaches Wildwasser, meist im zweiten Schwierigkeitsgrad, ohne nennenswerte Verblockung. Gelegentlich verengt sich der Fluss in den Kurven, wo teilweise kleine Schwälle und Stufen für etwas mehr Action sorgen.

So kam in einer Rechtskurve 300m nach den Einstieg bereits der erste Schwall, in dessen Hauptlinie ein tiefes Loch stand und von den meisten ganz rechts auf einer Chickenline befahren wurde.

Einen guten Kilometer weiter, ebenfalls nach einer scharfen Rechtskurve ein weiterer Schwall mit Stufe, die entweder S-förmig auf der Stromzunge oder auf der Action line mit Boof über einen angespülten Stein befahren werden konnte. Rob entschied sich für die Action-Line, landete blitzsauber im einem sprudelnden Kehrwasser und konnte noch dem Rest der Gruppe winken, bevor das Kehrwasser ihn in den Rücklauf der Stufe schob.  Ganz auf die rettende Rolle fokussiert, merkte er erst nicht, dass er schon gar nicht mehr im Boot saß als er wieder auftauchte. Kein Problem, denn wo ein Schwimmer, da zehn Retter. Das Boot war innerhalb von 20 Metern geborgen und da Utes Seil bereits mit Julia belegt war, überquerte Rob den Bach mit der Mutter aller Rettungstechniken, wie wir erst kürzlich gelernt hatten: dem Schwimmen.

Die Wildwassertour verlief ohne nennenswerte weitere Schwierigkeiten, stets mit kleinen Schwällen und flotter Strömung. Auf der Höhe des Pegels Tarasp befinden sich links und rechts des Flusses auffällige historische Bauten wie das Hotel Scuol Palace, dessen Dach nagelneu mit glänzendem Kupfer eingedeckt war, sowie die aus Sicherheitsgründen geschlossene Büvetta Tarasp mit ihren Mineralquellen. Eine etwas modernere Trinkhalle am linken Ufer wirkte, als wäre sie im Sommer eine sehr einladende Stelle für eine Paddelpause.

Ein auffälliges blaues Graffiti flussrechts an einer Betonbrücke in Scuol markiert die letzte Kurve vor dem Ausstieg, ebenfalls rechts. Hier war wohl früher noch eine besonders schwere Stelle mit fieser Prallwand. Diese ist allerdings entweder von einem Hochwasser weggerissen oder von Menschenhand ausgebaggert worden. Kaum waren die Boote die Böschung hinaufgetragen, ertönten die ersten Unkenrufe, es sei zu spät für eine Befahrung der Giarsun-Schlucht. In weiser Vorausahnung konnte Ute die Gruppe jedoch überzeugen, zumindest zum Einstieg zu fahren und dann zu entscheiden wie es weiter geht. Julia und Ronja baten sich als Shuttlebunnies an, denn „morgen ist ja auch noch ein Tag“. Dass es ganz anders kommen sollte, ahnte jetzt noch niemand.

  • Abschnitt
    • Giarsun-Schlucht (Einstieg markantes Horn im Flusslauf zwischen Autoverlad Vereina und Lavin bis Ausstieg Brücke Ardez)
  • Pegel
    • Station Tarasp 16:00 Uhr, 13 m³/s (unter Niedrigwasser lt. Riverapp aber alles gut fahrbar)
  • Distanz:  8 km
  • Teilnehmerzahl: 8
  • Vereinskilometer: 64 km

Die Giarsun gibt einem 2-3 km gemütliches WW2 bis die Flussufer immer näher rücken und die Blöcke größer werden. Auch in der Schlucht zunächst leichte Verblockung und kleine Stufen bis die markante Preußenschleuder auftaucht, welche die Kernstelle der Giarsun-Schlucht darstellt. Bei unserem Pegel konnte der große Block links bequem zum Besichtigen und Sichern verwendet werden. Der Wasserstand war zu hoch, um die Durchfahrt ganz rechts als Chickenline zu bezeichnen. Die beste Linie schien also zu sein, das Polster am rechten stein relativ weit links zu erwischen, um sich sanft durch den Schlitz schieben zu lassen. Markus, der das Polster mit viel Geschwindigkeit voll erwischte, wurde von diesem nicht gedreht, sondern plumpste hinter dem Polster auf die zweite Hälfte des gespaltenen Steins. Allen Paddlern gelang das Manöver, teilweise mit Rolle, doch blieb uns nach der Preußenschleuder noch weniger als eine Stunde Tageslicht. Dabei hatten wir noch gar nicht die Baustelle mit Steinschlag und die Baumschikane dahinter passiert.

Die Straßenbaustelle war kein Problem, denn durch eine (nur vom Fluss aus) gut sichtbare grüne Tafel hoch oben am Hang wurde uns eine sichere Durchfahrt signalisiert. Von den nachfolgenden schönen verblockten Schwällen bleibt nur eine vermischte Erinnerung, weil wir in unserem Wettrennen gegen die Zeit wenig Muße hatten, uns die schöne Strecke einzuprägen. Blöderweise lagen in einer längeren Schwallstrecke zwei große Bäume quer – erst einer von links, dann einer von rechts. Jeweils knapp über der Wasseroberfläche, sodass eine Durchfahrt sehr schwierig und gefährlich war. Wer zielsicher war, fuhr ein kleines Kehrwasser rechts kurz vor dem ersten Baum an und umtrug dann relativ gemütlich. Die konservative Variante startete flussaufwärts in einem großen Kehrwasser, jedoch mussten dann die Boote über große Blöcke geschleppt werden.

Weitgehend ereignisfrei folgten wir Ute aus der Schlucht heraus und erreichten pünktlich zum Sonnenuntergang den Ausstieg. Julia, die pausiert hatte, wartete bereits mit einem duftenden und salzfreien Curry auf die ausgehungerten Paddler.

Mit der Dunkelheit kam ein starker warmer Wind auf, nachts gegen 2 Uhr kam mäßiger Regen hinzu, jedoch nichts Außergewöhnliches. Als wir am nächsten Tag in den Fluss schauten, trauten wir unseren Augen kaum: wo am Freitag noch ein Bächlein durchs Kiesbett plätscherte, trieben jetzt ganze Bäume durch eine braune Suppe. Im Oberengadin, im Tessin und einigen Regionen der Zentralschweiz hatte es in der Nacht heftige Regengüsse gegeben, sodass teilweise Pässe gesperrt und ganze Autobahnen geflutet werden mussten. So sollte das dritte WHW-Hochwasserabenteuer dieses Jahres beginnen.

Samstag, 03.10.2020 – Martina-Strecke bei Hochwasser und Wanderung zur Adrezer

Anstatt die schwere Ardezer Schlucht bei niedrigem Herbstpegel zu paddeln, entschlossen wir uns nach langer Überlegung dazu, direkt am Campingplatz einzubooten und die Martina-Strecke bis zum Zollamt zu paddeln. Allein während wir überlegten stieg der Pegel Martinsbruck von 90 auf 180 m³/s und da ging noch deutlich mehr.

  • Abschnitt
    • Martina Strecke (Einstieg Campingplatz Sur en bis Ausstieg Zollamt)
  • Pegel
    • Station Martinsbruck 11:30 Uhr, 180 m³/s, 14:00 ca. 220 m³/s (Hochwasser)
  • Distanz:  12 km
  • Teilnehmerzahl: 6
  • Vereinskilometer: 72 km

Die Martina-Strecke verläuft weitgehend durch ein breites und offenes Kiesbett und führt aufgrund eines Kraftwerks meist zu wenig Wasser zum Paddeln. Nur bei höheren Wasserständen kann man hier wuchtigen Spaß haben. Im Gegensatz zu anderen Wuchtklassiker wie der Flimser Schlucht auf dem Vorderrhein oder der Imster Schlucht, steht hier allerdings nicht das Schaukeln auf gigantischen Wellen im Vordergrund, sondern eher das Ausweichen vor gefräßigen Löchern. Bei sehr schneller Strömung gab es durchaus einige Stellen mit riesigen harmlosen Wellen, doch waren dies für den Wasserstand erstaunlich wenige. Stattdessen standen an einigen Stellen flache Walzen mit teilweise langem Rücklauf, die man spät selbst erkennen konnte. Die gelben Boote von Ute und Ed fuhren voraus und erleichterten es dem Rest der Gruppe, zu entscheiden, ob sie folgen oder besser eine andere Linie wählen möchten.

Einstieg der Martina-Strecke am Campingplatz

Ed, der sehr nah hinter Ute klebte, wurde von einer Walze ausgebremst. Im Vorbeifahren sah Rob wie er beinahe bewegungslos auf einer Verschneidung zwischen zwei Pilzen stand, nur leider kopfüber. Nach einigen gescheiterten Rollversuchen setzten er und sein Boot die Reise auf getrennten Wegen fort. Julia, die als einzige noch flussaufwärts war, eskortierte Ed mitsamt Paddel ans rechte Ufer, während Markus und Rob versuchten, das Boot in ein Kehrwasser zu befördern. Nur, dass es keine Kehrwasser gab und man selbst recht aufmerksam paddeln musste. Letztendich gelang es uns, gut 500m flussabwärts das Boot in Ufernähe unter einen Baum zu klemmen. Dominik nutzte dann die zweite große Rescue-Superpower und watete angeseilt zum eingeklemmten Boot, um es einzuhaken. Mit vereinten Kräften konnten wir es unter dem Baum hervorholen und glücklich wie wir sind, lag auch noch eine Brücke zwischen Ed und seinem Boot.

Nach diesem Abenteuer im strömenden Regen freuten sich alle auf eine heiße Dusche und die geschmierten Brote vom Vortag. Ab 15 Uhr riss der Himmel auf und die strahlende Sonne motivierte uns, eine kleine Wanderung zu unternehmen. Wir fuhren zum Ardezer Bahnhof und liefen eine Runde zur Hängebrücke vor dem Himmelsgucker. Beim mildem Wetter und Sonnenschein wirkten die 300 m³/s Schlammbrühe, die durch die Schlucht donnerten und sich an den (darunter vermuteten) Blöcken meterhoch auftürmten, besonders surreal. 

Gestärkt von Rumis kräftigem Eintopf und gewärmt von der Sauna am Fluss, deren Eingang zwischenzeitlich fast unter Wasser lag, schränkten wir am Abend die Paddelstrecken für den Sonntag ein. Unser Favorit war trotz sehr niedrigen Pegels die Loisach, weil sie auf dem Heimweg liegt und für alle einen relativ stressfreien Abschluss bietet.

 

Hängebrücke über der Ardezer Schlucht am HimmelsguckerHängebrücke über der Ardezer Schlucht am Himmelsgucker Blick auf den HimmelsguckerBlick von der Hängebrücke auf den Himmelsgucker. Bei 300 Kubik gibt's nix zu gucken.

 

Sonntag, 04.10.2020 – Double Fun und Boot-Shredding auf der Loisach

Ungewöhnlich effizient und pünktlich packten wir zusammen und machten uns auf den Weg in Richtung Loisach. Von der Zugspitze über den Fernpass kommend, erreicht man die Griesenschlucht noch vor der Ortseinfahrt von Garmisch.

  •  Abschnitt
    • Loisach Griesenschlucht (Einstieg Parkplatz, Ausstieg Bootshaus)
  • Pegel
    • Station oberhalb Partnachmündung 13 Uhr, 90cm (5.5 m³/s, Mindestpegel)
  • Distanz:  2x5 km
  • Teilnehmerzahl: 8
  • Vereinskilometer: 80 km

Die Loisach ist schmal, verblockt und eng – deshalb entschieden wir, in zwei Vierergruppen zu starten. Bei dem niedrigen Wasserstand galt es, genau abzuwägen, welche der Steine noch überfahrbar waren und welchen man aus Rücksicht auf Boot und Hintern besser ausweicht. Dennoch war die Loisach wie immer ein spaßiger Abschluss und selbst die „ich fahr nur 1x“ Fraktion musste nicht zu einem zweiten Run überredet werden. Ronja, der das neue Boot auf dem Inn noch nicht so ganz gehorchen wollte, traf souverän Linien und Kehrwasser, sodass zu hoffen ist, dass wir die rote Rakete demnächst öfter zu sehen bekommen.

Leider forderte der niedrige Wasserstand gleich doppelt seinen Tribut: Sowohl Ed als auch Julia waren sehr erstaunt, als sie am Ausstieg sehr viel Wasser aus ihren Booten leerten. Bei genauerer Betrachtung dann der Schock: Beide hatten etwa an der gleichen Stelle unter dem Sitz einen recht langen Riss im Boot. Und dabei hatten wir uns so viel Mühe gegeben, Eds Boot am Vortag bei Hochwasser einzufangen und zu bergen…

Ein außergewöhnliches Ende einer in vielerlei Hinsicht außergewöhnlichen Wildwassersaison in der wir trotz äußerer Einschränkungen alle Höhen und Tiefen mitgenommen haben.

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